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KI im Finanzinstitut: Wer jetzt nicht handelt, verliert Anschluss

25.06.2025

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als nächste technologische Revolution, vergleichbar mit dem Sprung, den die Dampfmaschine oder das Internet einst auslösten. Die jüngste Studie von McKinsey & Company (2025) hält fest: Das eigentliche Risiko besteht für Führungskräfte heute eher darin, zu klein zu denken als zu gross.

Auch in der Schweiz ist das Thema längst angekommen. Der Finanzplatz profitiert von einer verlässlichen digitalen Infrastruktur und hoher Fachkompetenz. Laut Swiss Bankers Association (2024) könnten die hiesigen Finanz- und Industriecluster überdurchschnittlich von generativer KI profitieren.

Gleichzeitig zeigt dieselbe McKinsey-Erhebung (2025): Nur rund 1 % der Unternehmen betrachten ihre KI-Initiativen bereits als «voll integriert», während 92 % planen, ihre Investitionen in den kommenden drei Jahren nochmals zu erhöhen. Die Zahlen machen deutlich: Technik allein genügt nicht. Entscheidend sind klare Zielbilder, gelebte Kultur und die konsequente Befähigung der Mitarbeitenden.

KI als Partner – der Mensch bleibt zentral

Kundinnen und Kunden wünschen sich weiterhin persönliche Beratung und direkte Kommunikation. Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen eines aktuellen WTT OST-Praxisprojekts «Währungsrisiken im Griff: Next Generation FX-Strategien bei Würth Finance B.V.». Dort wurde deutlich: Auch im hochdigitalisierten Treasury-Umfeld bleibt der persönliche Kontakt zentral. Innovation und KI helfen, Abläufe effizienter zu gestalten und Prognosen zu verbessern. Doch gerade dadurch wird mehr Raum geschaffen für Abstimmung, Vertrauen und Nähe innerhalb eines internationalen Konzerns mit über 400 Gesellschaften.

Praxisprojekte unterschiedlicher Finanzinstitute verdeutlichen zudem einen klaren Vertriebsfaktor: Menschen vertrauen Menschen. KI kann Vorarbeit leisten, Daten konsolidieren, Texte generieren und Prozesse beschleunigen, doch der entscheidende Moment des Abschlusses entsteht, wenn Beraterinnen und Berater Vertrauen aufbauen. Für den Verkauf gilt deshalb: Automatisieren, wo Routine und Datenverfügbarkeit dominieren, aber bewusst menschliche Touchpoints belassen, wenn persönliche Vertrauensbildung gefragt ist,

Führung, Kultur und Haltung als Schlüssel

Die technische Infrastruktur ist oft weniger die Herausforderung als vielmehr der kulturelle Rahmen. Wer übernimmt Verantwortung? Welche Prozesse müssen neu gedacht werden? Laut der McKinsey & Company-Umfrage (2025) schätzen Führungskräfte, dass nur rund 4 % der Mitarbeitenden KI aktiv nutzen, während der tatsächliche Anteil bei etwa 13 % liegt. Für Schweizer Banken zeigt die SBA-Erhebung (2024) hingegen, dass bereits rund 60 % der Mitarbeitenden generative KI-Tools einsetzen – vor allem für Textformulierung, Protokolle und smarte Dokumentensuche. Das zeigt: Neugier ist da – es fehlt häufig an Orientierung und Ermutigung von oben.

Praxisbeispiele zeigen, dass erfolgreiche KI-Initiativen in Finanzinstituten besonders dann gelingen, wenn vier Dinge zusammenkommen:

• Strategie und entschlossene Führung
• Governance und Risikomanagement
• Mitarbeitendenqualifizierung und Kultur
• Iteratives Vorgehen und langer Atem 

Hinzu kommt ein fünfter, oft unterschätzter Punkt: Alle Ebenen, vom Verwaltungsrat bis zum Sachbearbeiter, müssen verstehen, was KI kann, wo ihre Grenzen liegen und welche Risiken zu managen sind. Erst wenn Wissen, Kultur und Technik zusammenspielen, entsteht nachhaltiger Mehrwert.

Praxisbeispiel: Deep ALM bei der OST

Deep ALM ist ein lernfähiger KI-Baustein, der die gesamte Komplexität des Asset Liability Managements (ALM) abbildet. ALM gilt als Schaltzentrale jeder Bank oder Pensionskasse. Prognosen allein helfen wenig, wichtiger ist es, sich robust auf Unsicherheit einzustellen und definierte Ziele einzuhalten.

Deep ALM verfolgt einen zielorientierten Ansatz: Es definiert Rendite- und Risikolimiten, verbindet Reinforcement Learning mit bewährter Bilanzlogik, nutzt synthetische Daten für eine belastbare Kalibrierung und passt sich der jeweiligen Bilanz an. Pilotprojekte zeigen, dass trainierte Modelle in Sekunden ausgewertet und sofort für zahlreiche Stress- und Basisszenarien validiert werden können. Gleichzeitig berücksichtigt das Framework komplexe Märkte, Liquiditäts- und Handelsrestriktionen sowie regulatorische Vorgaben, ohne den Risikoappetit aus dem Blick zu verlieren.

Das Forschungsteam um Prof. Dr. Thomas Krabichler und Dr. Katerina Rigana unterstützt Banken und Pensionskassen, diese Logik in institutsspezifische Cockpits zu integrieren. Die KI schlägt priorisierte Umschichtungen vor, bleibt jedoch jederzeit von Fachspezialisten übersteuerbar (vgl. Krabichler & Teichmann, 2023).

Ein von Innosuisse gefördertes Folgeprojekt untersucht derzeit, wie sich der Ansatz in ein modulares Software-Toolkit überführen lässt. Zwischenergebnisse werden in einem offenen Konsortium mit Praxispartnern verprobt. Interessierte Institute sind eingeladen, sich frühzeitig einzubringen und den weiteren Entwicklungsweg aktiv mitzugestalten.

Fazit: Jetzt den Anschluss nicht verpassen

Der richtige Zeitpunkt für KI ist jetzt. Der Wandel kommt – die Frage ist nur, ob man ihn gestaltet oder von ihm überrollt wird. Lösungen wie Deep ALM zeigen: Es braucht keine radikalen Umbrüche, sondern kluge Integration. Wer sich heute auf den Weg macht, nutzt Technologie verantwortungsvoll und stellt den Menschen ins Zentrum.

Autorin

Dr. Katerina Rigana forscht an der OST – Ostschweizer Fachhochschule zu maschinellem Lernen und Kausalinferenz in Finance & Health. Nach ihrem PhD am Swiss Finance Institute entwickelte sie KI-basierte Analysen von Finanznetzwerken und beriet Venture-Capital-Fonds. Ihre Projekte spannen von Asset-Liability-Management über kausale KI-Modelle bis hin zu datengetriebenen Anlagestrategien.

Quellen: